5. Treffen: Der, die, das *Fremde*

Philosophie als Lebenskunst
·4 min·Philosophierunden

Was uns Herr Derrida mit der Gastfreundschaft über das Fremde sagt.

Einführung zu Derrida und Dekonstruktion

Das Fremde. Ein Reizwort, über das man wegliest, besonders, wenn es immer wieder auftaucht. Doch in der Philsophie haben Worte eine besondere Bedeutung. Und als Philosophen können wir bei jedem Wort ins Stolpern geraten. Der Begriff ist der Gegenstand der Philosophie. Und unser Denken versucht meist, die Welt in Begriffen zu begreifen.

Der Philosoph Derrida untersucht solche Begriffe. Er sucht nach ähnlichen Begriffen, wie "das Andere", oder gegenteilige Begriffe, wie "das Eigene". Das Fremde wird selbst befragt und in Frage gestellt. Derrida hat den Begiff der Methode der "Dekonstruktion" geschaffen: Die Bedeutung von Begriffen ergibt sich aus dem ""Unterschied"" zu anderen Begriffen und ist immer ""verzögert".

Différance ist ein Kunstwort, das Derrida aus den französischen Begriffen „difference“ (Unterschied) und „deferral“ (Verzögerung) zusammensetzt. Er schreibt das „a“ bewusst klein, sodass das Wort gleichzeitig an beide Bedeutungen erinnert.

Grundidee:

  • Bedeutung entsteht nur durch Unterschiede: Ein Wort bekommt seine Bedeutung nicht, weil es direkt auf einen Gegenstand zeigt, sondern weil es sich von anderen Wörtern abgrenzt. Beispiel: Das Wort „Hund“ versteht man erst, weil es sich von „Katze“, „Pferd“, „Maus“ usw. unterscheidet.
  • Bedeutung wird immer verzögert. Wenn wir ein Wort hören, verweisen wir sofort auf ein anderes Wort, das wiederum auf ein weiteres verweist … Dieser Ketten‑Effekt bedeutet, dass die eigentliche Bedeutung nie sofort „ankommt“ sondern immer erst nach mehreren Schritten (Verzögerung) greifbar wird. Die Kettee endet nie, damit gibt es kein festes "Zentrum".
  • Zusammengefasst: Jede Bedeutung ist ein Netzwerk aus Unterschieden, das sich endlos weiterzieht und nie einen endgültigen Endpunkt erreicht. Interpretation bleibt offen: Ein Text kann nie völlig eindeutig ausgelegt werden, weil immer neue Verbindungen und Nuancen auftauchen können. Mehrdeutigkeit ist normal: Unterschiedliche LeserInnen können dieselben Worte unterschiedlich verstehen, weil sie verschiedene Vor‑ und Hintergrundwissen mitbringen

Dekonstruktion von: "das Fremde"

Nehmen wir an, wir weisen dem Fremden die Bedeutung zu: Das Fremde ist etwas, das nicht zu uns gehört, das "anders" ist, das wir nicht identifizieren können, das wir nicht verstehen. Daraus ergibt sich die Gegenüberstellung "Wir vs. das Fremde" - wir sind "normal", das Fremde ist "abweichend".

Zunächst tauchen Fragen bei uns auf:

  • Ist es moralisch richtig, das Fremde zu "lieben"?
  • Ist der Fremde vor uns da? So sagen Hegel, Sartre und Levinas in etwa: "Wir unterliegen dem Anderen"
  • Ein Fremder kann ein Gast oder ein Feind sein. Wie sieht es mit Gastfreundschaft aus?
  • Untergräbt der Andere etwa unsere Werte?
  • Ist der Fremde etwa ein Parasit (vergleiche gleichnamigen Film), der den Gastgeber am Leben lässt, um selbst zu leben?
  • Ist das Fremde in uns (vergleiche Sigmund Freud), sind wir eigentlich selbst Herr oder Frau im eigenen Haus?
  • Einige Philosophen sagen, wir sind sogar immer für den Anderen vollständig verantwortlich.

Jetzt lockern wir das mithilfe der Dekonstruktion auf:

  1. Das Fremde ist immer schon Teil von uns.
  • Wenn wir sagen „das Fremde“, benutzen wir ein Wort, das wir selbst gelernt und in unsere Sprache aufgenommen haben.
  • Ohne unser Sprach‑ und Denk­system gäbe es das Wort „Fremde“ überhaupt nicht. Das Fremde ist also bereits in unserem eigenen System verankert.
  1. „Fremd“ wird erst durch das „Bekannte“ definiert.
  • Wir verstehen etwas nur, weil wir etwas anderes kennen.
  • Das heißt: Das, was wir als „Fremdes“ bezeichnen, bekommt seine Bedeutung gerade dadurch, dass wir vorher etwas als „unsere“ Kultur, Sprache, Gewohnheit usw. festgelegt haben. Ohne dieses „Innere“ gäbe es kein „Äußeres“.
  1. Das Fremde ergänzt das Bekannte.
  • Wenn wir einem fremden Wort, einer fremden Musik oder einer fremden Tradition begegnen, erweitert das unser eigenes Verständnis.
  • Das Fremde wirkt also nicht nur als Gegenstand, den wir ablehnen oder ausschließen, sondern als „Supplement“ – es füllt etwas in unserem Denken, das vorher noch nicht da war, und zeigt zugleich, dass das, was wir für „normal“ hielten, nicht vollständig ist.
  1. Die Grenze zwischen „uns“ und „dem Fremden“ verwischt.
  • Weil das Fremde erst durch unser Inneres definiert wird und gleichzeitig unser Inneres erweitert, gibt es keine feste, unbewegliche Grenze.
  • Jeder Kontakt mit dem Fremden lässt die Grenze ein Stück weit verschwimmen – das, was wir als „uns“ ansehen, wird immer wieder neu zusammengesetzt.

Was das für uns bedeutet

  • Kein starres „Wir vs. Fremde“: Der Fremde ist nicht einfach nur „anders“, er ist Teil unseres eigenen Verständnisses.
  • Offenheit: Wenn wir das Fremde als mögliche Ergänzung sehen, öffnen wir uns für neue Ideen, statt es sofort abzulehnen.
  • Bewusstsein: Wir erkennen, dass unsere Vorstellungen von „normal“ immer schon von dem abhängen, was wir als „fremd“ erlebt haben.

Kurz gesagt: Durch die dekonstruktive Betrachtung wird klar, dass das Konzept „das Fremde“ nicht einfach ein äußerer, abgeschlossener Gegensatz zu „uns“ ist. Es ist ein Teil unseres eigenen Denk‑ und Sprachsystems, das uns gleichzeitig ergänzt und die vermeintliche Trennung zwischen „uns“ und „dem Fremden“ auflöst.