Auch wenn man sich nicht riechen kann, troztdem atmen?
Nachdem wir beim letzten Mal uns darüber ausgetauscht haben, wie unterschiedlich Worte aufgenommen werden, und wie verschieden wir sie dabei werten, kommen wir heute zu einem Thema, der die Kommunikation wesentlich mitbestimmt: Was ist eine Atmosphäre und wie beeinflusst sie uns?
Auch dieser Begriff erzeugt bei den TeilnehmerInnen unterschiedliche Assoziationen: Druck, Wetter, lebnsnotwendig, ungreifbar, Umgebung, Dichte, Familie, emotionale Schwingung, Resonanz.
Schon beim Betreten eines Raums, sei es das Büro, ein Museum, ein Restaurant, schnell scheinen wir von ihm emotional ergriffen zu sein, als können wir uns dem nicht enziehen. Oder haben wir immer die Wahl, z.B. überhaupt einzutreten oder eben nicht? Der Philosoph Hermann Schmitz meint, wir sind der Atmosphäre zunächst immer ausgesetzt, doch können uns aktiv darauf beziehen. Die Atmosphäre umgibt dich (Sphäre, also Kugel). Unsere Sinne nehmen einen Gefühlsraum wahr.
Doch sind wir unterschiedlich feinfühlig? Und empfinden blinde oder taube Menschen die Atmosphäre unterschiedlich? Oder aber ist eine Atmosphäre etwas, das für alle gilt, die sich darin befinden? Nehmen wir das Wetter: Auf der einen Seite ist es neutral, gegeben, objektiv messbar, auf der anderen Seite ist es sehr subjektiv, wie warm oder kalt du es gerade empfindest. So gibt es Studien, bei denen Menschen den empfundenen Kälteschmerz bei gleicher Temperatur unterschiedlich bewerten.
Und ist es im Umgang mit Menschen anders? Innerhalb von 10 Sekunden, so wird behauptet, soll es passieren, dass wir einen anderen Menschen bewerten und darauf bauen wir unsere Beziehung auf. Es finden biologische Prozesse statt, Düfte, werden ausgesandt, bekanntes oder fremdes bewertet und ein Urteil gefällt. Und ist es dann richtig, zu sagen: Der Mensch gegenüber ist gut oder schlecht? Oder ist er neutral und wir befinden ihn als gut oder schlecht.
Sehr vieles ist Wertung, wir empfinden auf der Basis unserer Wertungen und wir werten auf der Basis unserer Empfindugnen. Das ist nur legitim, denn wir suchen Schutz und Freunde. Dafür werten wir. Den einen, der in der Bahn laut telefoniert, weisen wir nicht zurecht, weil wir bald aussteigen, dass ist pragmatisch. Aber ist der Mensch, der da telefoniert, objektiv nicht rücksichtsvoll, oder empfinden wir das nur so, weil wir uns daran stören? Und störst du dich vielleicht gar nicht daran?
Hier wird es jetzt spannend: Kreieren wir unser eigenes Wetter? Ja, wir haben Erziehung erfahren und anderes erlebt. Aber bestimmt uns dies so sehr, dass wir nicht frei entscheiden können, unabhängig von der Vergangenheit? Oder können wir jeden Moment neu entscheiden? Ja, Erfahrungen dienen als Kompass. Aber ist die Vergangenheit vielleicht nur eine Rechtfertigung, sich nicht anders zu entscheiden? Oder bestimmen uns die Gefühle so sehr? Und können wir trotz des Ärgers, der Wut oder der Angst, uns regulieren, sodass wir anders handeln? Und ist das eine gewisse Gestaltungsmacht, die wir damit haben? Die andere vielleicht nicht haben, wenn sie gewalttätig werden?
Wenn das Wetter schlecht ist, kannst du eine Jacke anziehen. Wir können uns zu der Atmosphäre verhalten. Aber wir scheinen ausgesetzt zu sein, die Atmosphäre ist gegeben, oder etwa nicht: Es hat nämlich den Eindruck, als sei alles fest und müsse sofort beeinflussbar sein. Doch vergessen wir vielleicht dabei, dass wir ständig im Austausch sind mit unserer Umwelt, Sinneseindrücke aufnehmen, darauf Entscheidungen treffen und damit die Atmosphäre beeinflussen? Und ist es nicht vielmehr so, dass sich etwas mit der Zeit ändern kann? Wir, genauso wie unsere Umwelt mit uns?
Etwas entsteht an sich nicht alleine, sondern immer in einer Wechselwirkung. Ich teile etwas mit, du nimmst es auf und verhältst dich mir gegenüber nach deiner Einschätzung, wie ich darauf reagiere, und so weiter. In der Regeltechnik (vergleiche Kybernetik) gilt: Ein Heizungsthermostat gibt so lange heißes Wasser frei, bis der Sensor sagt, es ist warm genug. Dabei wird fortwährend mit der Umgegung abgeglichen. Im Vergleich dazu "messen" wir die Stimmung eines Raumes und verhalten uns: Wir können entscheiden, ob wir ein Lächeln aufsetzen, oder Kontakt abweisen. Wenn wir selbst bestimmen, welches Ergebnis wir vom Raum möchten, können wir Verhaltensweisen wählen, um eben den gewünschten Zielzustand zu erreichen.
Dabei ist die Frage nach dem Willen interessant: Wir setzen eine Absicht, z.B. soll es den TeilnehmerInnen gefallen - oder ich will ein Ventil für den Stress vom Tag haben - und wir arbeiten bewusst daran, den Zielzustand zu erreichen. Es macht also Sinn, sich vor Betreten eines Raums bewusst zu machen, welche Absicht du gerade verfolgst.
Vielleicht erscheint es, dass der Wille sich aus der Vergangenheit ergeben hat. Oder aber physikalische Gesetzmäßigkeiten lassen eine Vorbestimmtheit vermuten. Sofern ich mir meinen Willen bewusst mache - und dieser Wille ist nicht einfach nur ein Satz "Ich will...", oder ein Gefühl von Gier oder Abneigung - wird dies Einfluss auf mein Handeln haben. Letztlich führt das weiter zum Thema "Gewohnheiten" und "Übung": Wer bewusst nach der Farbe grün sucht, wird immer mehr grün sehen. Wer das Schöne im Kleinen sucht, wird lernen, wo es überall zu finden ist. Wer täglich das Smartphone auf der Bahnfahrt aus lässt und stattdessen zum Beispiel bewusst ruhig atmet, wird entspannter in den Feierabend kommen, der Schlaf wird entspannter, man ist am nächsten Tag entspannter und es ist wahrscheinlicher, dass der Tag glückt. Das sind alles Regelungsprozesse, die dein System verändern. Und du kannst in jedem Moment starten. Freiheit heißt in diesem Sinne "Lernen". Der freie Wille ist, sich schrittweise zu befreien, durch fortwährendes Aus- und Aufrichten.
Vor allem der letzte Absatz war noch etwas von mir, weil die Frage nach dem freien Willen im Raum stand. Beim nächsten mal wieder mehr von euren Beiträgen. Wir wollen uns mit dem Thema: "Was darf und kann Freundschaft aushalten?" befassen. Auch hier geht es wieder um gelungene Kommunikation und die zwischenmenschliche Atmosphäre.
Wenn ihr eigene Vorschläge oder Anregungen habt, schreibt mir gerne.
