Philosophischer VHS-Abend – Thema "Zwischenmenschliches"

Philosophie als Lebenskunst
·4 min·Philosophierunden

Was passiert, wenn wir uns per Whatsapp schreiben? Was ist dabei Kommunikation, was geht verloren, was ist anders?

Hier ein Beitrag zur Vorbereitung:

Wir leben in einer Welt, in der wir ständig kommunizieren – und dennoch so oft aneinander vorbeireden. Besonders in digitalen Medien wie WhatsApp zeigt sich die Fragilität unserer Verständigung. Ein kurzer Text, ein Emoji, ein gelesener, aber unbeantworteter Chat – und schon beginnt das Rätselraten: Was hat er gemeint? Warum schreibt sie nicht zurück? Habe ich etwas falsch gesagt?

Doch was passiert eigentlich, wenn wir uns per WhatsApp schreiben? Und was geht dabei verloren?

Schon Aristoteles wusste, dass der Mensch ein zoon politikon ist – ein soziales Wesen, das durch Sprache mit anderen verbunden ist. Aber Sprache ist nicht nur das, was wir sagen. In jeder echten Unterhaltung transportieren wir Mimik, Gestik, Tonfall – all das fällt in Textnachrichten weg.

Ludwig Wittgenstein betonte, dass Sprache erst durch ihren Gebrauch Bedeutung gewinnt. Worte sind keine festen Container für Bedeutung – sie leben vom Kontext. Wenn wir in einem Gespräch „wirklich?“ sagen, kann das alles Mögliche bedeuten: ungläubiges Staunen, skeptische Zurückhaltung, ironische Zurückweisung. Ohne Tonfall bleibt nur das Wort – und es wird zum leeren Gefäß, das der Leser selbst füllen muss.

WhatsApp verlangt von uns also eine neue Kunstfertigkeit: Wir müssen zwischen den Zeilen lesen, wo gar keine Zeilen existieren.

Friedrich Nietzsche schrieb einst: „Die größten Ereignisse – das sind nicht unsere lautesten, sondern unsere stillsten Stunden.“ Aber was passiert, wenn die stillen Stunden aus Textnachrichten bestehen, die nicht sofort beantwortet werden?

In einer normalen Unterhaltung gibt es Pausen, Lachen, ein Nicken, einen Seitenblick. Per Chat gibt es nur das Ticken der Uhr – und den gefürchteten „Online“-Status. Wir füllen die Lücken mit unseren eigenen Annahmen:

  • „Er hat es gelesen, warum antwortet er nicht?“
  • „Sie schreibt nur kurz und knapp – ist sie sauer?“
  • „Der Punkt am Ende des Satzes… war das Absicht?“

Plötzlich ist Kommunikation nicht mehr das, was gesagt wurde, sondern das, was wir hineininterpretieren. Wir sehen nicht die Person, sondern nur das Echo ihrer Worte – und oft ein unvollständiges.

Der Mensch hat sich natürlich angepasst. Wenn Mimik fehlt, dann erfinden wir sie eben neu: Emojis, GIFs, Sticker. Ein lachendes Smiley kann einen sarkastischen Kommentar entschärfen, ein Zwinker-Emoji signalisiert Ironie. Wir bauen digitale Krücken für das, was in einem echten Gespräch selbstverständlich wäre.

Aber sind Emojis wirklich ein Ersatz für echte Gestik? Oder sind sie nur ein weiteres Rätsel? Denn auch sie lassen sich missverstehen: Ist ein einzelnes „Haha“ ein echtes Lachen oder ein ironischer Schlag? Ist ein „Daumen hoch“ Zustimmung – oder eine genervte Abfuhr?

Martin Buber formulierte seine berühmte Unterscheidung zwischen Ich-Du- und Ich-Es-Beziehungen. Ein echtes Gespräch – ein Ich-Du – ist lebendig, offen, voller Resonanz. WhatsApp-Chats neigen dazu, zu Ich-Es-Beziehungen zu werden: Die andere Person ist nicht mehr wirklich anwesend, sondern eine Projektion in unserem Kopf. Wir lesen nicht nur ihre Nachrichten, sondern auch unsere eigenen Erwartungen, Ängste und Hoffnungen in sie hinein.

Was also tun?

Bewusstsein für die Grenzen des Mediums entwickeln: Nicht jede Nachricht hat dieselbe Bedeutung, wie wenn sie laut ausgesprochen würde. Nicht in den Interpretationssumpf geraten: Manchmal ist ein „Okay“ nur ein „Okay“. Nicht mehr, nicht weniger. Mehr telefonieren, mehr echte Gespräche führen: Die Stimme trägt mehr als Worte. Ein „Ach, das meinte ich gar nicht so!“ kann in Sekunden klären, was im Chat endlose Missverständnisse verursacht hätte.

Ein berühmtes Zitat von Paul Watzlawick lautet: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Aber in WhatsApp-Nachrichten kann man sehr wohl falsch kommunizieren – und zwar ständig.

Die digitale Welt macht es uns einfach, Nachrichten zu senden – aber schwerer, wirklich verstanden zu werden. Denn am Ende bleibt Kommunikation immer das, was zwischen den Worten geschieht.

Und vielleicht sollten wir uns das öfter bewusst machen, bevor wir in den leeren Chatbildschirm starren und uns fragen, warum die drei Punkte einfach nicht auftauchen.

Hier ein paar philophische Fragen für den Abend:

Ist Kommunikation ohne Körper noch echte Kommunikation? – Wenn Mimik, Gestik und Tonfall fehlen, bleibt dann nur noch ein Schatten echter Verständigung?

Wie viel von einer Nachricht gehört dem Sender, wie viel dem Empfänger? – Sind wir beim Lesen von WhatsApp-Nachrichten wirklich die Empfänger der Nachricht – oder vielmehr die Autoren unserer eigenen Interpretation?

Verändert die digitale Kommunikation unser Verständnis von Wahrheit? – Wenn wir ständig interpretieren müssen, anstatt direkt nachzufragen, laufen wir dann Gefahr, uns unsere eigene Realität zu erschaffen?

Sind Emojis die neue Körpersprache – oder eine Verarmung von Ausdruck? – Erweitern sie unsere Kommunikation oder sind sie nur eine reduzierte Ersatzsprache für das, was echte Mimik transportieren würde?

Macht uns die ständige Erreichbarkeit wirklich verbundener – oder einsamer? – Wenn wir jederzeit schreiben können, aber selten wirklich im Moment mit jemandem sind, verlieren wir dann den Wert echter Begegnung?